Ein Weihnachtskommentar von Matthias Kamann
Die lauten Tiere erfreuen sich in der Bibel großer Wertschätzung. Auch Weihnachten sind sie präsent. Jesus belohnt sie mit dem Zeichen des Kreuzes.
Da zeigt sich wahre Größe: Eseln ist es nicht wichtig, immer eigens erwähnt zu werden. In den biblischen Weihnachtsgeschichten steht kein Wort über Esel. Weil klar ist, dass damals ohne sie nichts ging. Als Josef mit Maria von Nazareth nach Bethlehem zog, dürfte ein Esel die Hochschwangere getragen haben. An der Futterkrippe im Stall, wo der Säugling liegt, werden Esel zum Inventar gehört haben. Die Flucht der Heiligen Familie nach Ägypten – um das Kind vor den Mordplänen des Herodes in Sicherheit zu bringen – ist ohne ein solches Tier ebenfalls nicht denkbar. Darum haben Künstler sehr früh begonnen, die Esel in den Gemälden weihnachtlicher Motive unterzubringen. Auch als Krippenfiguren sind Esel fest etabliert. Doch weder bei Lukas, noch bei Matthäus wird die Anwesenheit eines solchen Tieres rund um Jesu Geburt vermerkt. Esel haben es aber nicht nötig, ihre langen Ohren dauernd beschrieben zu bekommen. Denn die Bibel bringt ihnen ohnehin große Wertschätzung entgegen. Dem Volk Israel werden die Tiere zum Vorbild gesetzt. Ein Esel kennt, so heißt es bei Jesaja, „die Krippe seines Herrn“. Israel hingegen kenne und verstehe das Gute nicht, das Gott dem Volke tut (Jes 1,3).
Als vorbildlich erweist sich der Esel auch in jener so munteren wie weisen Geschichte, die im Alten Testament über Bileam erzählt wird. Das vierte Buch Mose berichtet in Kapitel 22, dass dieser Bileam, ein Seher, im Auftrag des moabitischen Königs, die heranziehenden Israeliten verfluchen soll. Bileam will zunächst nicht. Dann aber lässt er sich überreden und reitet auf einer Eselin den Israeliten entgegen.
Gott jedoch gefällt dieser Verfluchungsplan nicht. Deshalb schickt er einen Engel, der Bileam aufhalten soll. Es ist die Zeit, in der Engel den Menschen noch machtvoll gegenübertreten. Während nun
Bileam das Herannahen des Engels gar nicht bemerkt, erkennt die Eselin sofort die Gefahr: „Die Eselin sah den Engel des Herren auf dem Wege stehen mit einem bloßen Schwert in seiner Hand. Und die
Eselin wich vom Weg ab und ging auf dem Felde.“ Kluges Tier! Was aber macht Bileam? Er schlägt die Eselin, „um sie wieder auf den Weg zu bringen“.
Neuerlich kommt der Engel. Abermals weicht die Eselin aus, dieses Mal, indem sie sich eng an eine Mauer drängt, wobei jedoch Bileams Fuß eingeklemmt wird. Die Folge: „Er schlug sie noch
mehr.“
Beim dritten Mal stellt sich der Engel „an eine enge Stelle, wo kein Platz mehr war auszuweichen.“ Sofort begreift die Stute, dass da nichts zu machen ist. Sie bleibt stehen und geht „in die Knie
unter Bileam“. Der aber wird wütend. „Und er schlug die Eselin mit dem Stecken.“
Jetzt reicht’s der Eselin. Mit Gottes Hilfe tut sich ihr Mund auf, und sie spricht zu Bileam: „Was hab ich dir getan, dass du mich nun dreimal geschlagen hast?“ Eine weitere Frage fügt sie an,
und die zeugt von höchstem tierethischen Gerechtigkeitsbewusstsein: „War es je meine Art, es so mit dir zu treiben?“ Bileam kleinlaut: „Nein.“ Sodann muss sich Bileam vom Engel darüber belehren
lassen, wer hier den Sinn fürs Wesentliche hat und vor Gott zu bestehen vermag: „Die Eselin“, so der Engel, „hat mich gesehen und ist mir dreimal ausgewichen. Sonst, wenn sie mir nicht
ausgewichen wäre, so hätte ich dich jetzt getötet, aber die Eselin am Leben gelassen.“
Die Wertschätzung also, die in der Bibel den Eseln entgegen gebracht wird, scheint nicht zuletzt darin begründet zu sein, dass Esel einen Blick fürs Wesentliche haben. Daher ist es kein Wunder, dass diese Tiere im Alten Testament dazu ausersehen werden, eine besonders wesentliche Gestalt zu tragen, einen Auserwählten Gottes. Dieser König, „ein Gerechter und ein Helfer“, wie es bei Sacharja (9,9) heißt, „reitet auf einem Esel“. Ausdrücklich betont wird dabei, dass dies eine Degradierung bedeutet für die kriegstauglichen Verwandten der Esel, die Pferde. „Wegtun“ werde Gott „die Rosse aus Jerusalem“. Jesus, sich in diese Weissagung stellend, handelt entsprechend. Beim Einzug in Jerusalem, zu Beginn seines Erlösungswerkes in der Passion, reitet Jesus auf einem Esel in die Stadt. Mitten im Bild also ist das Tier beim Triumphzug des Messias. Zum Dank für den Tragedienst, so will es der Volksglaube, schenkte der Heiland den Eseln sein Siegeszeichen, das des Kreuzes. […] Die höchste Auszeichnung, die das Christentum zu vergeben hat.
Doch zurück zum Einzug in Jerusalem. Bevor der stattfindet, noch auf dem Land vor den Mauern der Stadt, sagt Jesus Worte, in denen man erahnen kann, was Esel auch charakterlich für das Christentum interessant macht. „Und als sie in die Nähe von Jerusalem kamen, sandte er zwei seiner Jünger und sprach zu ihnen: „Geht hin in das Dorf, das vor euch liegt. Und sobald ihr hineinkommt, werdet ihr ein Füllen angebunden finden, auf dem noch nie ein Menschen gesessen hat; bindet es los und führt es her“ (Mk 11,1-2). Dies lässt sich so verstehen, als schätze Jesus an den Eseln ihr schlichtes Da-Sein. Jesus Jünger können sich darauf verlassen, einen Esel einfach anzutreffen.
Offenbar kommt es bei den Eseln nicht auf bestimmte Werke an, mit denen sie sich auszeichnen – sie sind störrisch -, sondern auf Präsenz. Esel sind in freier Natur keine Fluchttiere, sondern trotzen Gefahren durchs Stehenbleiben. Anwesenheit als Lebensstrategie. Die Kulturwissenschaftlerin Jutta Person hat unlängst beschrieben, was wir über diese Tiere wissen und wie sie von uns Menschen gedeutet werden. Person zeigt zum einen, wie jene Tiere immer wieder als dumm und einfältig abqualifiziert wurden, zum anderen, dass Esel durch Ambivalenz faszinieren. Die lauten Tiere, […], gelten nicht nur als belastbar, sondern auch als dämonisch. Zugleich umweht sie Melancholie, wie sie da so unbeirrbar in die Welt sehen. Eigensinnig wirken sie, scheinen zu zaudern, sich nicht festlegen zu wollen. Sollen doch die anderen sofort entscheiden und lospreschen. Esel warten ab und halten sich die Optionen offen. Wie sagt der Esel in den „Bremer Stadtmusikanten“ zum Hahn? „Etwas besseres als den Tod findest du überall.“ Indem die Esel zaudern, bleiben sie aufnahmefähig für das, was es sonst noch gibt in der Welt. Den Menschen überlassen sie sich – anders als andere domestizierte Tiere – nicht zur Gänze. Die Haut und das Fell der Esel werden nur selten verwertet, ihre Milch und ihr Fleisch wurden nie zu Grundnahrungsmitteln. Ganz davon zu schweigen, dass sich Esel von den Menschen nicht in jene Freundschaftsbeziehungen zwängen lassen, in denen Hunde und Pferde an Eigensinn eingebüßt haben.
Genau diese Esel aber scheinen Gott und sein Sohn zu lieben. […] Offenbar schätzt er es, wenn man zugleich zur Melancholie neigt, zögert, zaudert, statt felsenfest überzeugt loszugaloppieren. Was sich auch auf den Umgang mit biblischen Texten anwenden lässt: Gibt es wirklich nur eine Deutungsrichtung?
Wer solcherart abwartet, ist erst einmal einfach da, steht zur Verfügung. Ist präsent, um zu tragen. Die schwangere Mutter des Herrn. Den Heiland als Säugling auf dem Weg nach Ägypten. Den Erlöser in den Tagen vor seinem Kreuzestod. Präsent aber auch, um Jesus anzuschauen, wie er da in der Krippe liegt.
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